Volkstrauertag 2022


Liebe Bürgerinnen und Bürger,

Die eigentlichen Verlierer der Kriege sind immer die Eltern, die Frauen, die Mütter.

Mit diesem bitteren Ausspruch der Bildhauerin Käthe Kollwitz begrüße ich Sie hier zur heutigen Gedenkfeier zum Volkstrauertag 2022 in Schloßborn, Glashütten und Oberems.

Käthe Kollwitz sprach aus eigener tieftrauriger Erfahrung: Im Ersten Weltkrieg, der am 11. November 1918 zu Ende ging, hatte sie ihren Sohn Peter verloren.

Wie jede Mutter, wie alle Eltern, litt Käthe Kollwitz furchtbar unter dem Verlust ihres Sohns. Sie verarbeitete ihr Leid in ihrer Skulptur „Trauerndes Elternpaar“, die heute auf der Kriegsgräberstätte Vladslo in Belgien steht.

In der Nähe des Schlachtfelds, auf dem ihr Sohn 1914, gleich zu Anfang des Krieges, gefallen war.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, nicht nur die letzten beiden Weltkriege haben viele trauernde Elternpaare, Kinder, Ehefrauen und Geschwister geschaffen. Bis heute sterben täglich Menschen im Krieg und das ist uns seit dem 24. Februar 2022 wieder noch bewusster.

Dieser 24. Februar kann zu Recht als Zeitenwende in unserem bis dahin über 77 Jahre in Frieden lebenden Europa gesehen werden. Ein Tag, der durch den brutalen Angriffskrieg Russlands seine Unschuld verlor.

Und so denken wir am heutigen Volkstrauertag nicht nur an die vielen Opfer der beiden Weltkriege. Wir widmen diesen Tag auch den Menschen in der Ukraine, die Opfer wurden, weil sie in Freiheit und Demokratie leben möchten, so wie wir dies auch tun.

Wir gedenken den gefallenen Soldaten, die in Gefangenschaft gestorben sind oder hingerichtet wurden, und den vielen Vermissten. Aber auch den Männern, Frauen und Kindern überall auf der Welt, die im Krieg ihr Leben lassen mussten.

Wir denken an die Menschen, die im Widerstand oder um ihre Überzeugung oder ihres Glaubens Willen, Opfer von Gewaltherrschaft und Terror wurden und jetzt wieder werden, weil ein aggressiver Autokrat die Grundlagen von Frieden, Freiheit und Demokratie mit Füssen tritt, nein, sie zerstampft!

Und wir denken voller Betroffenheit an alle, die man verfolgt und getötet hat, weil sie einer vermeintlich falschen Ethnie angehörten oder als „unwertes Leben“ wegen Krankheit oder Behinderung aussortiert wurden.

Wir denken auch an die Männer, Frauen, Kinder und Familien, die nach all den geführten Kriegen auf unserem Erdball, auch in anderen Teilen der Welt, durch Flucht oder Vertreibung ihr Leben – oder zumindest ihren Besitz und ihre Heimat – ihre Wurzeln verloren haben.

Wir denken voller Dankbarkeit und Respekt an die Bundeswehrsoldaten, die bei der Verteidigung von Freiheit, Frieden, Demokratie und Menschenrechten ihr Leben gelassen haben.

Wir trauern um die Opfer der Kriege und Bürgerkriege unserer Tage, um die Opfer von Terrorismus und politischer Verfolgung, um die Opfer sinnloser Gewalt. Wir trauern mit allen, deren Glück und Lebensfreude durch den gewaltsamen Tod eines lieben Menschen in tausend Scherben zerbrochen ist.

Doch wir setzen alle Hoffnung auf Versöhnung unter den Menschen und auf Frieden in der Welt. Der ehemalige Bundespräsident Richard von Weizsäcker hat einmal gesagt:

Das Geheimnis der Versöhnung ist Erinnerung.

Der heutige Volkstrauertag gibt uns dazu die Gelegenheit. Er ist ein Tag des Gedenkens und des Nachdenkens. Er ist ein Tag der Erinnerung, des Mitgefühls und der Verbundenheit über Generationen und Völker hinweg. 

Und er kann unseren Blick schärfen: für unsere Überzeugungen und Handlungen, für gesellschaftliche und politische Entwicklungen in der Gegenwart und für die Zukunft, für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung einzustehen und sie gegen jegliche Feinde von innen und außen zu verteidigen. Dieser Tag ist ein zeitloses Erbe, das nie an Aktualität verlieren wird.


Nutzen wir ihn zum Atemholen, zur Reflexion über Krieg und Gewalt, und sind wir dankbar, dass wir in einem Land ohne Krieg in der bisher längsten Friedensepoche unseres geeinten Landes leben dürfen.

Liebe Bürgerinnen und Bürger, nehmen wir von den Gräbern und Kriegerdenkmälern die Hoffnung mit und leisten wir an diesem Tag ein Versprechen: Wir wollen unseren Kindern eine Zukunft schaffen, die auf Menschenwürde fußt, frei von Angst, Unfreiheit und Erniedrigung!

Frieden fällt nicht schön verpackt vom Himmel. Man kann ihn weder kaufen noch gewinnen. Frieden ist ein Geschenk der Zeit, das wir alle in uns tragen. Wir müssen den Frieden in uns finden und dann großzügig mit den anderen teilen.


Für den Frieden müssen wir alle etwas tun, er ist nicht nur Sache von Politikern. Es ist vielmehr an jedem von uns, friedlich miteinander zu leben und schon im Alltag eine Atmosphäre zu schaffen, in der keiner aus purem Misstrauen oder Unkenntnis angefeindet und ausgegrenzt wird.


Wir müssen Frieden schaffen, indem wir miteinander sprechen, einander zuhören, Freude und Kummer teilen, uns gegenseitig helfen und uns am Ende die Hände reichen. Daran sollten wir uns heute, am Volkstrauertag 2022 erinnern und mit dem aufeinander zugehen beginnen.

 

Glashütten, 13. November 2022

Thomas Ciesielski
Bürgermeister